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Abschiedskonzert Almut Rößler | 01.12.1996

Rheinische Post
Dienstag, den 3. Dezember 1996


Ovationen für Kantorin Almut Rößler in der Johanneskirche

Ein Abschied in großem Stil

Es war ein würdiger Abschied. Als Kantorin wird Almut Rößler zwar bis Januar ihren Dienst versehen, aber ihr letztes Konzert gab sie jetzt in großem Stil und mit einem Aufwand, den die Stunde rechtfertigte.

Die Düsseldorfer Musikfreunde zeigten bei dieser Gelegenheit, daß sie sehr wohl zu schätzen wissen, was sie der Kirchenmusikerin und Orgelvirtuosin zu verdanken haben. In großer Zahl waren sie gekommen, füllten die Johanneskirche bis zum letzten Platz und feierten die Künstlerin mit Ovationen, wie wir sie in Düsseldorf selten erlebt haben.

Das Programm des Abends trug unverkennbar die markanten Züge Almut Rößler. Bach war dabei, Übervater und Leitfigur durch die Jahrhunderte für die Musica sacra; ferner Lili Boulanger, die frühverstorbene Französin, welche die jüngste Entdeckung Almut Rößlers darstellt. Selbstverständlich durfte Olivier Messiaen nicht fehlen, für dessen Werk sich die Organistin jahrzehntelang und weit über Düsseldorf hinaus einsetzte. Dessen »Un sourire Hommage à Mozart« (1989) leitete dann über zum Hauptwerk des Abends, der unvollendeten Messe in c-moll KV 427.

Es wurde ein unvergeßlicher Abend, nicht nur wegen des Anlasses, sondern wegen der überragenden künstlerischen Leistungen. Schon mit der Wiedergabe des 130. Psalms (1916) von Lili Boulanger wurden die Maßstäbe abgesteckt, die für das Konzert gültig blieben. Das Werk der von tödlicher Krankheit Gezeichneten hat hörbar einen biographischen Hintergrund. Es ist von düsterer Klangfarbe und explosiver Ausdrucksgewalt.

Was Almut Rößler mit dem großbesetzten Orchester in (vermutlich) wenigen Proben erreicht hat, setzte in Erstaunen. Es bot ein Musizieren von bedeutendem Zuschnitt und machtvoller Farbigkeit. Dem war die gleichfalls großbesetzte Johanneskantorei ebenbürtig klangstark, kontrastreich und von expressiver Wucht. Den Solopart sang die Altistin Elisabeth Graf mit fülligem Register und genauem Gespür für Linie und Zwischentöne.

Gezwitscher und Geplapper

Mit einem vielköpfigen Chor eine Bachsche Motette (»Komm Jesu, komm«) a cappella zu singen, birgt Risiken für Intonation und Transparenz. Aber Almut Rößler hat immer darauf bestanden, die gesamte Kantorei an derlei Aufgaben zu beteiligen, und so konnte der Chor sich zu seinem Vorteil auf eine solide, tragfähige Basis stützen.

Messiaens Mozart-Hommage wirkte als entspannendes und auch heiteres Zwischenspiel mit seinen hellen, zarten Streicherklängen und dem Gezwitscher und Geplapper der Vögel von Bläsern und Schlagwerk.

In majestätischer Größe erreichte Almut Rößler schließlich die Klangarchitektur von Mozarts c-moll-Messe. Durch kluge Disposition der Tempi und Entwicklungen erreichte sie es, daß sich alle Bauelemente zu einem ebenso sicheren wie harmonischen Maßwerk fügten. Mit eindrucksvollen Leistungen hatten die Sopranistinnen Agnès Robert und Annette Müller, der Tenor Wolfram Wittekind sowie Bassist Werner Lechte ihren Anteil am Erfolg des Unternehmens.

Erinnerungen drängten sich an diesem Abend auf an jenes nunmehr weit zurückliegende Orgelkonzert, mit dem sich Almut Rößler 1967 als Kantorin der Johanneskirche einführte. Bach, Reger, Messiaen und Maurice Duruflé hatte sie damals gespielt, durch ihren hochpersönlichen Vortrag ihr künstlerisches Format zu erkennen gegeben. Die Erwartungen, die sie damals weckte, hat sie in überreichem Maße erfüllt. Wir wissen nicht, wie es nach ihr in der Johanneskirche weitergeht, doch wir hoffen zuversichtlich, daß Almut Rößler auch in Zukunft die Düsseldorfer Musikfreunde mit ihrer Kunst dann und wann wieder beschenken wird.

HANS HUBERT SCHIEFER

Westdeutsche Zeitung
Dienstag, den 3. Dezember 1996


Eine Entdeckerin des Kostbaren verläßt uns

Seit 1967 leistete Almut Rößler als Kantorin der Johanneskirche einen beträchtlichen Beitrag für das Düsseldorfer Musikleben. Nun nimmt sie Abschied.

Almut Rößlers Aufführungen großer Chorwerke, seien es Bach-Passionen oder Oratorien von Mendelssohn, gerieten nie zu reinen Routine-Veranstaltungen. Immer zeugten ihre Einstudierungen und Dirigate von hoher musikalischer Inspiriertheit. In ihrem letzten Konzert als Johanneskantorin stellte sie ein gemischtes und sehr persönliches Programm zusammen: Mit Lili Boulangers (1893-1918) »Der 130. Psalm« für Soli, Chor und Orchester zu Konzertbeginn stellte sie das Werk einer Komponistin vor, die sie selber erst in den letzten Jahren schätzen gelernt hatte.

Aus geheimnisvoll dumpfen Tiefen erheben sich da Chor und Orchester in ein ekstatisches Tosen und Brausen. Rößlers intensive und klare Zeichengebung verhalfen dem Chor der Johanneskantorei und der erweiterten »Camerata instrumentale« zur Herausstellung der komplexen musikalischen Dramaturgie.

Erhebende Wirkung verleiht es den Bach-Motetten, wenn auf mehr geachtet wird als nur auf das Erlangen perfekter Intonation, sauberer Einsätze und klanglicher Transparenz. Und Rößlers Fähigkeit, das Besondere zwischen den Noten zu vermitteln, zahlte sich auch diesmal wieder in Bachs Motette »Komm, Jesu, komm« aus. Das erhellte den Zustand des sterbenden Menschen, der seine Seele in die Hände Jesu geben will.

Von den zeitgenössischen Werken steht der Kirchenmusikerin das Oeuvre des französischen Komponisten Olivier Messiaen besonders nahe. Etliche seiner Werke brachte. sie zur Uraufführung. Und freilich hatte auch jetzt ein Stück von ihm seinen Platz in Rößlers persönlicher Programmauswahl. »Un sourire Hommage à Mozart« (1989) heißt dieses kurze Spätwerk, in dem zum Ausdruck kommt, was Messiaen besonders an Mozart bewunderte: »Trotz Schmerzen, Leides, Hunger, Kälte, Unverständnisses und Todesnähe hat Mozart stets gelächelt«.

»Gelächelt« hat Mozart auch in den Stücken, die in Moll-Tonarten geschrieben sind: so auch in der Messe c-Moll KV 427, die nun den Höhepunkt des Konzertes bildete. In zugkräftigem Viervierteltakt durchschritten die Streicher die geheimnisvoll-leise, aber motorisch energische Einleitung. Und der Chor vermochte dazu wunderschön aufzublühen. Die »Cum Sancto Spirito«-Fuge besaß trotz breiter Anlage viel Stabilität und Dynamik. Und ein ungemein flottes »Credo in unum Deum« bescherte anregenden Esprit.

Von den durch famosen Solisten sei hier stellvertretend die französische Sopranistin Agnès Robert erwähnt: Die Schülerin von Régine Crespin und Sena Jurinac verblüffte durch ein wahres Legatissimo in den zahlreichen Koloraturen und Ornamenten. Ihr stimmlicher Glanz und der empfindsame Ausdruck versöhnte mit einigen Schärfen in den Höhen.

Rößlers Abschied war gewiß kein endgültiger. Wenn auch nicht mehr im Amte der Johanneskantorin, wird sie uns dennoch als Gastinterpretin weiterhin an ihrer Kunst teilhaben lassen.


Ihre Kompetenz, Kunstfertigkeit und ihr Kenntnisreichtum, ihr Engagement und ihre Entdeckungsfreude, wird dem musikalischen Leben sehr fehlen: Kirchenmusikdirektorin Almut Rößler, eine der besten Organistinnen im Lande, gab am Sonntag ihr Abschiedskonzert.

LARS WALLERANG

Paulus | Felix Mendelssohn-Bartholdy | 03.03.1996

Rheinische Post
Dienstag, den 5. März 1996


Almut Rößler dirigierte Mendelssohns »Paulus«

Ins Leuchten gebracht

Die Aufnahme der Werke Felix Mendelssohns verlief weder gradlinig noch unter logischen Aspekten. Vorschnell gefällte Werturteile wurden manches Mal ungeprüft übernommen. Die Nationalsozialisten stuften die Musik Mendelssohns gar als »artfremd« ein – mit weitreichenden Folgen. Kein Wunder also, dass sich manches Werk dieses großen romantischen Komponisten erst allmählich einen Platz im Konzertleben erkämpfen musste.

Aus dem Schattendasein

Um so höher ist zu bewerten, dass Almut Rößler das Oratorium »Paulus« aus seinem Schattendasein herausführte und zur Aufführung brachte. Den begeisterten Konzertbesuchern in der Johanneskirche wurde bewusst, was das Studium der Partitur belegt: Kompositionstechnisch ist dieses romantische Oratorium über jeden Zweifel erhaben, wobei Mendelssohn es verstand, überlieferte Formen und Satztechniken und mühelos zu verwenden, sondern mit Blick auf die musikalische Sprache seiner Zeit zu aktualisieren. Dabei verfehlen weder die dramatischen noch die lyrisch-besinnlichen Partien ihre Wirkung.

Mit großer Präzision bewältigte die Johannes-Kantorei die zahlreichen Fugen; aus den großen Chören sprachen Leuchtkraft und Stärke. Sehr gut gelang die Steigerung im Schlusschor des ersten Teils, wobei besonders der klangschöne und durchsetzungsfähige Sopran auffiel. Von ganz eindringlicher Wirkung war auch die Darstellung der Christusworte »Saul! Was verfolgst du mich?«, die den Frauenstimmen zugeordnet sind, ebenso der Choral »O Jesu Christe, wahres Licht«, vorgetragen von den Kantorei-Solisten Annette Müller, Stefanie Westerteicher, Joachim Regel und Markus Maczewski.

Die Vokalsolisten zeigten insgesamt gute, im Verlauf der Aufführung zum Teil sich steigernde Leistungen. Der Sopranistin Dorothee Wohlgemut gelangen die zurückhaltend-lyrischen Partien sehr gut, während ihre Stimme mit zunehmender Lautstärke und auch Höhe Klangabrundung vermissen ließ. Karl Markus verfügte, von einzelnen in der Höhe unsauber klingenden Tönen abgesehen, über eine schöne und ausdrucksvolle Tenorstimme. Phillip Langshaw, Bass, unterstrich seine Interpretation durch ausgezeichnete Artikulation und Akzentuierung, konnte aber in den leiseren Partien nicht überzeugen. Ganz im Gegensatz dazu gingen beispielsweise die abschließenden Rezitative des Paulus geradezu unter die Haut. Ebenso gelang das zweite Duett der Männerstimmen (Barnabas, Paulus) sehr viel ausgewogener und schöner als das erste.

Beredte Soli

Die erweitert »camerata instrumentale« musizierte ausdrucksstark und beredt; dies gilt für Passagen des gesamten Orchesters (einschließlich Orgel) wie für viele hervorragende Soli. Schade, dass im Übereifer gelegentlich vor allem die Innenstimmen des Chors zugedeckt wurden. Ärgerlich, dass bei den Rezitativen soviele Einsätze zu spät kamen. Hier hätte Almut Rößler mehr Präzision einfordern können.

Ansonsten führte sie sowohl Chor als auch Orchester sehr klar und inspiriert, garantierte somit eine Aufführung von hohem künstlerischen Niveau.

JÜRGEN RAIDT

Westdeutsche Zeitung
Dienstag, den 5. März 1996


Biblischer Sog

Johanneskirche: »Paulus« unter Almut Rößler

(wall). Stand im 19 Jahrhundert noch Mendelssohns »Elias« im Schatten seines früheren »Paulus«, so erfreut sich heute gerade das spätere Werk besonderer Beliebtheit. Almut Rößler aber entschied sich für die Bekehrungsgeschichte des Saulus zum Paulus für Soli, Chor und Orchester op. 36 und berichtet von einem regelrechten »Entdeckungs-Trip« für ihre Kantorei und die erweiterte »camerata instrumentale«.

Was die Kirchenmusikerin aus dem frühromantischen Oratorium machte, führte zu einer Erlebnisreise von größter Farbigkeit und Plastizität.

Die breit angelegte Ouvertüre nahm Rößler sehr getragen, doch trotz langsamer Tempi entstand sogleich eine ungeheure innere Sogwirkung. Auch im weiteren biblischen Verlauf: Die Steinigung des Propheten Stephanus, die himmlischen Eingebung des Paulus durch Jesus, die Bekehrung der Heiden – das alles ging wahrhaft unter die Haut.

Neben sicherer Intonation und Transparenz zeigte sich der Chor auch wandlungsfähig: Die Choräle schufen je nach Bedeutung andere Stimmung. Gefühlslagen wurden charakteristisch herausgestellt, einmal energisch mordlüstern, dann wieder verklärt apotheotisch und schwebend.

Lob auch den Instrumentalisten: Das organische, ausgewogene Klangbild und die reizvolle Vereinigung von Kontrakpunkt und Melos sorgten für ein Fundament von eigenständiger ästhetischer Identität.

Die Wahl der Solisten erwies sich als Glücksfall: Dorothée Wohlgemuth verfügt über einen filigranen, aufgehellten, hin und wieder zerbrechlichen Sopran. Bestechend ihr feines Piano und der ätherische Glanz. Auch in der Mezzo-Lage des Arioso »Doch der Herr vergisst der Seinen nicht« hatte sie noch reichlich Gestaltungsmittel. Karl Markus (Tenor) interpretierte in noblem Vortrag und wort-bezogen seine Partie und fand auch zu lyrischer Kantilene. Phillip Langshaw (Bass) verkörperte einen überaus energischen Paulus und gestaltete etwa in der Arie »Gott sei mir gnädig« einen machtvollen Sinneswandel. Wenn der Gestus auch stellenweise zu theatralisch geriet, so wähnte man doch immerhin einen zum Leben erweckten Paulus vor seinem geistigen Auge.