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Elias | Felix Mendelssohn Bartholdy | 16.12.2012

Dienstag, 18. Dezember 2012


Solider »Elias« in der Johanneskirche

Kantor Wolfgang Abendroth setzte das Oratorium von Mendelssohn in Szene.

Im vergangenen Frühjahr hat der Dortmunder Intendant Jens-Daniel Herzog gewagt, Felix Mendelssohn Bartholdys »Elias«-Oratorium auf die Opernbühne zu wuchten. Das Experiment glückte, denn tatsächlich hat nicht nur die dramatische Geschichte aus dem Alten Testament das Potenzial zu einer ausgewachsenen Oper, sondern auch Mendelssohns glühende Musik. In der Johanneskirche hat nun Kantor Wolfgang Abendroth mit seiner Interpretation des »Elias« in einer konzertanten Aufführung wahrhaft opernhafte Wucht entwickelt.

Wolfgang Abendroth an der Orgel
Wolfgang Abendroth dirigierte das Altstadtherbst-Orchester
Foto: Privat
Gewiss wäre einem Vertreter historischer Aufführungspraxis die imposant große Chorbesetzung ein Gräuel, aber Mendelssohn selbst wollte ein Werk mit »recht dicken, schweren und vollen Chören« schreiben. Die Johanneskantorei zeigte sich in Bestform, in den Tenören leicht unterbesetzt, aber sonst homogen und schlagkräftig. Das Altstadtherbst-Orchester wirkte zunächst etwas diffus, denn anfänglich wackelte die Abstimmung mit Abendroths ansonsten sehr entschiedenen Dirigat, aber rasch fand man zueinander.

Ein Ereignis war Martin Berners Elias: Ein junger Bariton mit balsamischem Legato, blitzsauberer Diktion, kraftvoller Attacke und einer faszinierenden Präsenz, die unmittelbar unter die Haut ging. Famos auch Corby Welchs strahlender Obadjah-Tenor, der sich mühelos in gefürchtete Höhen schraubte.

Dagegen fielen die Damen ein wenig ab: Heidrun Luchterhandts feine Sopranstimme ist für den Wettbewerb mit den romantischen Orchestermassen zu leicht und Dagmar Lindes Alt klang künstlich abgedunkelt.

REGINE MÜLLER

Matthäuspassion | Johann Sebastian Bach | 06.04.2012

Dienstag, 10. April 2012


Klangkulisse mit drängender Dramatik

Viel Beifall für Bachs Matthäuspassion in der ausverkauften Johanneskirche.

Johanneskantorei und ChamberJam-Orchester
Begeisterten das Publikum in der Johanneskirche: Chamber-Jam-Orchester und Johannes-Kantorei überzeugten am Karfreitag mit Bachs Matthäuspassion die Zuschauer.
Foto: Judith Michaelis
Sie ist das Opus magnum für die Karwoche, Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion. Die Leidensgeschichte Christi erfährt hier eine musikalische Überhöhung, die noch heute, rund 300 Jahre nach Bach, die Gemüter bewegt. Der tiefe Ernst, verbunden mit starker Emotionalität, kompositorischem Fantasiereichtum und lyrisch-dramatischer Eloquenz bleibt ein Faszinosum in der Musikwelt. Wenn nun ein Chor mit Bach-Tradition wie die Johannes-Kantorei die Matthäuspassion aufführt, ist der Besucherandrang groß.

Das Konzert am Karfreitag ist restlos ausverkauft, Mancher steht mit einem Schildchen »Suche Karte« vor der Kirche. Kantor Wolfgang Abendroth kombiniert seinen großen Kirchenchor mit einem Kammerorchester, das er selbst mit Instrumentalisten aus aller Welt zusammenstellte. Seit mehreren Jahren kommt das sogenannte Chamber-Jam-Orchester in der österlichen Zeit nach Düsseldorf, um von Karfreitag bis Ostermontag zu musizieren – vom Oratorium über Kammermusik bis zu leichteren Genres.

Bei den Gesangssolisten überzeugen vor allem die beiden Damen

Das durchaus agil und ausdrucksvoll spielende Orchester mischt sich ausgezeichnet mit dem hinter ihm positionierten und klangdichten Chor sowie dem von Justine Wanat glänzend präparierten Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor. Letzterer singt wiederum von den Treppenstufen der linksseitig angebrachten Kanzel aus.

Für Orchestereinleitung und Eingangschor wählt der Kantor ein straffes Tempo, wie viele seiner Kollegen. Indes geht in solchem Schwung immer etwas von jener Kraft verloren, die sich aus der Ruhe entwickelt. Abendroths zeitweilige Eile bringt auch die ätherische Stelle im 2. Teil: »Wahrlich, Dieser ist Gottes Sohn gewesen« etwas um ihre himmlische Größe.

Wer einmal nachhören möchte, wie sich der imaginäre Horizont weiten kann bei einer starken Dehnung dieser Stelle, dem sei die alte Aufnahme mit Karl Richter (Deutsche Grammophon) empfohlen. Andererseits darf man es einem stilsicheren Kirchenmusiker wie Abendroth freilich nicht als Fehler ankreiden, dass er auf eine solche Romantisierung verzichtet. Aber dieses Beispiel zeigt, dass strikte Werktreue eine Interpretation nicht nur auszeichnen, sondern auch begrenzen kann. Insgesamt gelingt Abendroth eine drängend dramatische Aufführung.

Eindrucksvoll entfalten sich vor allem die Choräle, bei denen sich der Kantor nun doch die Freiheit nimmt, die Tempi dem jeweiligen Textgehalt anzupassen. Von den Gesangssolisten überzeugen vor allem die beiden Damen: Erica Eloff verfügt über einen kraftvoll sirenenhaften Sopran, den sie aber auch sehr sanft einzusetzen vermag. Altistin Dagmar Linde verströmt warmen, samtigen Wohlklang. Deklamatorisch subtil, stimmlich aber oft an seinen Grenzen: Tenor Henning Klocke als Evangelist. Respektabel bewältigen Bass Sebastian Klein (Jesusworte) sowie Tenor Patricio Arroyo und Bass Rolf A. Scheider ihre Partien.

Nach Verklingen des letzten Moll-Akkords herrscht andächtige Stille in der ausverkauften Johanneskirche – gefolgt von einem sich mächtig steigernden Beifall.

LARS WALLERANG

Dienstag, 10. April 2012


Bach: »Matthäus-Passion«

Sind Blitze und Donner, sind Licht und Schatten, sind Himmel und Erde: So kontrastreich begab sich eine schöne, tiefe, dichte Aufführung von Bachs »Matthäus-Passion« in der Johanneskirche. Wolfgang Abendroth hat sie geleitet, hat die Johanneskantorei zu einem exzellenten, leicht reagierenden, wach phrasierenden und vor allem: ausgeglichen besetzten Chor geformt – und außerdem ein ungewöhnlich delikates Doppel-Orchester, das Chamber Jam Ensemble, akquiriert. Man war gleichsam bei Bach zuhause, konnte zahllose Male über den Thomaskantor staunen und wurde nicht selten ergriffen.

Dabei hatte die Aufführung Schwachpunkte, aber sie sprachen nicht gegen das Können der Musiker, sondern dokumentierten vielmehr den übergroßen Rang der Musik. Stilistisch hatte Abendroth nämlich keine einheitliche Konzeption. Die Choräle waren mal neutral, mal hochexpressiv, fast herrschte Deutungswillkür, etwa in der Abwicklung von Fermaten. Abendroth schien auch dermaßen in die Integration der Choräle in den dramatischen Fluss vertieft, dass er andere Aspekte vernachlässigte, etwa die Aussprache von Schlusskonsonanten.

Anderswo staunte man dankbar, wie intensiv und elastisch er die Turbae-Chöre formte, wie er sich aber auch eine gewisse pathetische Langsamkeit nicht nehmen ließ. Gleichgeschaltet, uniformiert klang diese »Matthäus-Passion« jedenfalls nie. Irgendwo gab es mal eine chorische Intonationspanne, doch wo? Schon vergessen. Für seine auch theologisch sinnfällige Idee, den Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor (von Justine Wanat bestens einstudiert) auf der Wendeltreppe zur Kanzel zu postieren, gebührt Abendroth übrigens ein Sonderlob.

Johann Sebastian BachWas die Konzeption anlangt, so wandelte sie sich in eine Freizügigkeit, über die man sich fallweise wundern oder freuen konnte. Das Orchester II spielte mitunter im Duktus der historisch informierten Aufführungspraxis, zeigte etwa in der Bassarie »Gerne will ich mich bequemen« feinen Verzicht auf Vibrato, was umso krasser auffiel, als der Konzertmeister von Orchester I sein Solo in der Alt-Arie »Erbarme Dich« mit fast romantischem Wellengang spielte. Solcherart wurde die Formulierung, in Bachs Haus gebe es viele Wohnungen, gleichsam in einer einzigen Aufführung eingelöst.

Viel Licht und wenig Schatten auch bei den Gesangssolisten. Die schönste Stimme bot Patricio Arroyo in seinen Tenor-Arien, die ihm so herrlich gerieten, dass man seinen kleinen Ausreißversuch als Hohepriester gern entschuldigte. Mit beeindruckender Intensität, mit Hoheit und tiefer Klage sang Sebastian Klein die Christus-Worte. Rolf A. Scheider durchmaß die Bass-Arien ebenso nobel und kultiviert, wie es Dagmar Linde (mit apartem Timbre, doch leicht gedrosselter Resonanz) in den Alt-Arien tat. Erica Eloff sang die Sopran-Arien nicht knabenhaft, sondern mit der (überzeugenden) Diktion einer Mozartschen Fiordiligi. Henning Klocke war ein sichtlich mitleidender und rhythmisch tadelloser Evangelist.

So war denn der herzliche und lange Beifall mehr als berechtigt. Nach dieser Bereitung des Wegs konnte Ostern kommen.

WOLFRAM GOERTZ